ASIEN
Fremdartige Verwandtschaft - Indien und Pakistan
Für unsere Indienreise 1981 hatte Cooks Reisebüro uns vieren Sitze in der 1. (nicht Luxus-) Klasse bzw. Schlafwagen für alle Strecken reserviert, und alle Reservierungen stimmten; an jedem Bahnhof gab es Träger mit roten Turbanen, die für wenig Geld das ganze Gepäck bis in das (außen am Wagon) namentlich gekennzeichnete Abteil trugen und dort verstauten; die Züge fuhren langsam, waren aber auch über große Strecken mit ca. zehn Stunden Fahrzeit nicht mehr als zehn Minuten verspätet; als sich einmal (!) ein Zug wegen Monsunregens stark verspätete, wurden wir vom Stationsvorsteher zu einer Tasse Tee in sein Büro gebeten: er habe sich erlaubt, in einem planmäßig späteren, nunmehr aber früher kommenden Zug ein gleichwertiges Abteil für uns zu reservieren! Die Abteile waren geräumig, und man bekam auf sauberen Aluminiumtabletts gutes gekochtes Essen, das man eine Station vorher beim Schaffner bestellte (bei anderen Gelegenheiten war das indische Essen natürlich n o c h besser!). Die indischen Passagiere waren (in dieser Klasse) wohlhabend, gebildet, hochkastig und nicht zahlreich; man konnte mit ihnen gut über die Probleme Indiens und das Kasten(un)wesen diskutieren: ein besonders impulsiver junger Mann rief aus, er wolle Kommunist werden, und Brahmanen wie er würden im nächsten Leben Würmer sein. Westliche Touristen gab es in den Zügen kaum.
Vieles davon traf bei einer zweiten Reise zwei Jahrzehnte später nicht mehr zu; die Qualität der Wagons war gesunken, aber es schien erfreulich, dass sich nun mehr Inder das Reisen in der besseren Klasse leisten konnten: sie gehörten einer zahlreicher gewordenen Mittelklasse an, vielfach Kleinunternehmer, die allerdings recht ungebildet waren, die Probleme ihres Landes fast immer ignorierten und sich auch mindestens so rücksichtslos benahmen wie Reisende in Europa; immerhin konnte ich einen Ingenieur zu Erklärungen über das Kastenwesen in modernen Betrieben bewegen: dort habe seine Bedeutung sehr abgenommen; es komme z. B kaum mehr vor, dass ein Mitarbeiter eine Viertelstunde nichts tue, weil er auf einen Akt warte, den nur der kastenniedrigere Bürodiener holen dürfe – eine Aussage, die uns später ein Weißer bestätigte: solches Verhalten habe in den vielen „joint ventures“ die sofortige Entlassung zur Folge.
Auf dem Land aber ist das Kastenwesen (immer noch, wie mir aus Berichten des Entwicklungshilfe-Klubs in Wien bekannt) entsetzlich: die Eisenbahnzüge waren sehr lang, und manchmal hielt 1981 unser Wagon noch am Rande des Ortes, wo sich oft der Brunnen befand; zweimal sah ich dort eine Prügelei, und als ich bei der zweiten einen Mitfahrenden nach dem Grund fragte, meinte er, da habe wohl ein Unberührbarer ohne die demütig zu erflehende Vermittlung eines Kastenmitglieds direkt Wasser geschöpft und dieses daher verunreinigt.
Eine brahmanische Familie, die wir in Bombay durch Vermittlung eines „Meet a Family“-Programms besuchten, schien auch verlegen, als uns und ihnen zugleich vom Dienstmädchen Wasser aufgetragen wurde, das wir dann lieber gar nicht anrührten; der Vater wirkte fast eitel (auf uns) in seinem Stolz auf seine Religion und Kultur, als er uns ein Exemplar des „Bhagavad Gita“ schenkte.
In Bombay sahen wir auch die „Türme des Schweigens“ der Parsen, aber nur ihre geweißten Mauern von unten…auch keine Geier. – Auf der Insel Elefanta vor Bombay dagegen, mit prächtig tropischer Vegetation auf dem heißen Weg hinauf zu den Tempelhöhlen (nicht ganz so dramatisch wie in der Verfilmung von „Passage to India“), herrschten die frechen Affen, deren einer auch prompt mit einem Buch unserer Tochter davon turnte, es aber fallen ließ, als er von einem Parkwächter verfolgt wurde. − Gewöhnlich waren wir mit unseren (blonden) Kindern überall die Lieblinge des stets zahlreichen Publikums.
Das Feilschen um die Preise war ein Ritus in bestimmten Grenzen, den wir bald beherrschten, wobei wir ohnehin gern die für uns erhöhten Preise zahlten; war doch damals alles so billig, dass wir insgesamt pro Nacht in guten Hotels durchschnittlich umgerechnet 100 Schilling bezahlten und ebenso viel für die Lebenskosten eines Tages, wobei wir immer das anfallende Kleingeld den Bettlern gaben, die, außer bei den Tempeln, fast nie aufdringlich waren. Aber der erste von ihnen, der uns auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt Bombay seinen Armstumpf ins Taxifenster hielt (er humpelte außerdem), ließ unsere Tochter in Tränen ausbrechen; und wenn man manchmal über Gestalten stieg, die eingehüllt an den Straßenrändern lagen, wusste man nicht, ob sie schliefen oder verhungerten. (Auch das war 2004 weniger schlimm; außerdem hätten die inzwischen zahlreichen und rücksichtslos gefahrenen Autos solche Menschen – wie tatsächlich auch aufrecht gehende – häufig überfahren; nur Kühe konnten auch 2004 noch ruhig die Fahrbahn überqueren.) Die vielen Fußgänger rempelten sich auch im Gedränge selten an, vielleicht auch wegen der Angst, sich kastenmäßig zu verunreinigen. Anderseits wurden wir, wenn es regnete, einige Male eingeladen, uns in Geschäften bzw. unter ihren Marquisen unterzustellen, ohne dass man uns dann zum Kaufen überreden wollte.
Doch das Land war unruhig. Immer wieder sahen wir Gruppen von Polizisten herumstehen, die „lathis“ in den Händen hielten, mit Eisenspitzen besetzte Holzstangen. Täglich las man von Demonstrationen irgendwo unter der allerdings bekannt riesigen Bevölkerung oft mit Überschriften wie „Police killed 22 in…“
Im Gegensatz etwa zu den Indios der Andenländer aber wirkt die indische Armut nicht so umfassend deprimierend, weil die Inder (nach unserem Empfinden) stattlicher aussehen, auch ihre Kleidung ist ansprechender; besonders trifft dies auf die Frauen zu: der Sari ist meines Erachtens die schönste Kleidung der Welt, und wer in Südindien, z. B in Madras (jetzt: Chennai), Inderinnen in klassischen Tanzvorführungen (dem Bharata Natyam) gesehen hat, wird Vornehmheit und Erotik in einer Höchstform vereint erlebt haben.
In Madras kamen wir in einem Tempel mit einem jungen indischen Akademiker ins Gespräch, der unseren Kindern die Tiegel mit geweihter farbiger Asche zeigte, von der sie sich etwas auf die Stirn tupfen durften. Mit ihm habe ich dann noch lange korrespondiert. Er beklagte sich bitter über die Zustände in Indien (gelegentlich in einer Art, die bei Indern öfters festzustellen ist und auf uns etwas weinerlich wirkt – es aber für Inder wahrscheinlich nicht ist) und bezichtigte sich und die Inder allgemein, besonders aber die Frauen, der Heuchelei hinsichtlich des Sexuellen: entgegen dem Anschein „dächten alle immer daran“; ich konnte ihn dahingehend beruhigen, dass wir Menschen das wohl alle täten.
Überraschung in Goa (wo der Taxifahrer gleich fragte: „You want beach, Hare, Hare?“): der portugiesischen Herrschaft wurde nachgetrauert! Nun kämen korrupte Beamte, Bettler und der Fluch des Kastenwesens ins Land; letzteres habe in Goa auch bei der hinduistischen Mehrheit seine (un)soziale Bedeutung verloren (nicht allerdings im Privatleben, sogar bei Katholiken). In der katholischen Kirche war es außerdem bewegend, Frauen wie Männer zusammen stehen und am Gottesdienst teilnehmen zu sehen, während ja in Hindutempeln die einfachen Gläubigen ihre Opfergaben nur durch eine Kette von Höherkastigen nach vorne zum brahmanischen Priester am Altar geben dürfen, und bei manchen Tempeln Frauen während ihrer Tage der Eintritt überhaupt verboten ist.
(Im Januar 2009 erzählte mir allerdings jemand in der Österreichisch-Portugiesischen Gesellschaft in Wien, dass es zu seine Zeit als Student am Gregorianum in Rom für die dortigen indischen Theologiestudenten aus Goa eine Errungenschaft war, bei der Begrüßung nach einem Heimaturlaub einander zu umarmen, und dass die indischen Priester in Goa nichts mit den Parias in ihrer Gemeinde zu tun haben wollten; Katechese gab diesen nur der Bischof portugiesischer Herkunft − weil die Inder den Kastenhochmut noch nicht überwunden hatten, nicht aus Gründen des Imperialismus.)
Auf der Reise durch Südindien sahen wir mehr Tempel, auf der durch Nordindien mehr Paläste (da wir Moscheen anderswo eindrucksvoll fanden). Während die Figurenhaufen außen an den neueren, bunten Tempeltürmen des Südens, oft im Sonnenglast schwer sichtbar, geschmacklos wirkten, machten manche Innenräume wirklich den Eindruck von Heiligtümern: hohe Gewölbe, bald nach den Eingängen im Halbdunkel, die Mauern schwarz vom Rauch der verbrannten aromatischen Hölzer (?) und Essenzen, Boden und Wände von altem Schmutz bedeckt, der jedoch eher aus Großzügigkeit entstanden schien als aus Unsauberkeit (waren doch die Besucher immer wohlriechend), wie die gelassenen Bewegungen der Gläubigen bei ihren einfachen sakralen Handlungen. Die elegante Farbenpracht des Innern vieler (buddhistischen) Tempel in Thailand hat man hier wohl nie wollen, oder sie war verschwunden (alles sah alt aus, nie renoviert), doch die Düfte welkender Pflanzen und verkohlter Spezereien entsprachen der hinduistischen Auffassung (soweit ich sie verstand) vom göttlichen Leben und Sterben.
Mindestens einen Palast aber sahen wir auch im Süden bzw. Zentrum: In Mysore war es besonders für unsere Kinder beeindruckend und vergnüglich, abends bei abnehmender Hitze über der blaugrau dunkelnden Ebene mit den Lichtern der etwas entfernt und tiefer gelegenen Stadt auf den Dachterrassen des Maharadscha-Palastes herumzulaufen, wobei die kleinen Affen, die dort ebenfalls wohnten, immer gerade vor ihnen über die Balustraden turnten; dann, nach einem Essen mit würziger Linsensuppe, mariniertem Brathuhn und süßem Milchreis, war es für uns alle wieder abenteuerlich, unter die weißen Moskitonetze eines Himmelbettes aus dunklem, polierten Mahagoniholz zu kriechen.
Natürlich musste man mit den Getränken sehr vorsichtig sein, und natürlich bekamen wir nach einer Woche jeder ein paar Tage Durchfall, was übrigens bei der zweiten Reise nicht mehr eintrat. Unsere Kinder dichteten ein Liedchen auf den „Soda-Tee“, da wir manchmal, wenn der Tee zu lange zum Abkühlen brauchte, Sodawasser dazu gossen. An unserem ersten Abend in Bombay bestellte ich stolz „Tee“ auf Hindi, aber entweder waren meine drei Hindiwörter zu wenig, oder der Kellner war Südinder und wollte kein Hindi dulden; er brachte mir den Tee erst nach Bestellung auf Englisch.
Die meisten südindischen Tempeltürme – wir besichtigten Madurai und Tiruchirapalli – kamen mir in ihrer Überfülle kleiner, bunter, strampelnder Figuren künstlerisch schwach vor, ich hatte wohl zu große Erwartungen.
Die Landschaften waren meist flach und öde. Eine sehr beeindruckende Fahrt war die von Goa über die westlichen Ghats nach Bangalore. Der Zug dampfte in langen Schrägen die grün überwucherten Berghänge hinauf, immer wieder mit aufregenden Aussichten nach unten, und fuhr einmal sogar hinter einem Wasserfall an der Bergwand vorbei.
Auch die südwestindische Lagunenküste um Cochin ist landschaftlich sehr schön. Wir konnten dort auf einem kleineren Passagierboot eine nachmittägliche und dann abendliche Fahrt im Mondschein machen und hatten auf der Insel Bolghatty im früheren Gouverneurspavillon Zimmer bestellt; es ist ein schönes altes Haus mit Vertäfelung aus dunklem Holz und Ventilationssegeln unter der Decke; aber die Übernachtung scheiterte daran, dass es kein Abendessen gab und der Strom ausfiel. Alle Gäste wurden auf einem fast sinkenden Boot zur Stadt zurückgerudert. Dort waren die Bauten des hier frühen Christentums und Spuren der jüdischen Einwanderung von Interesse. Kerala hat einen relativ hohen Prozentsatz von Katholiken und Kommunisten und ist auch nicht so arm wie die meisten anderen Regionen. In Südindien lernten wir eine Sikh-Familie kennen, die dort Ferien machte. (Die Sikhs sind ja für ihre „makrosozial“ kastenfreie Religion, ihre Tüchtigkeit und Wohlhabenheit bekannt.) Wir blieben immer in brieflichem Kontakt und sie nahmen uns 2004, als wir die Nordhälfte Indiens bereisten, in Bathinda überaus gastfreundlich auf.
Die zweite Reise nach Indien sollte in den Nordteil gehen, mit einem Abstecher nach Lahore in Pakistan.
Schon in der Botschaft Pakistans in Wien war der Konsularbeamte (ganz anders als der indische) äußerst zuvorkommend, als ich die Visa besorgte: „Teachers – you spread culture!“ sagte er, und als wir an der Grenze zwischen Amritsar und Lahore die kurze Strecke zwischen der indischen Kontrollstelle und der pakistanischen zu Fuß mit Trägern (für das Gepäck) zurückgelegt hatten, lud uns der pakistanische Beamte zu einer Tasse Tee in sein Büro ein, bei der er sich mit uns über Probleme des Bildungswesens unterhielt. Das Hotel in Lahore war tadellos, das Essen ausgezeichnet und hygienisch einwandfrei (wie übrigens auch in Indien fast immer), die Bedienung höflich und korrekt, ebenso die Taxifahrer.
In den verwirrenden Gassen der Altstadt suchten wir ein Privatmuseum – das Stadthaus einer vornehmen Familie in verstaubten Möbeln – und ich fragte einen Polizisten nach dem Weg; er winkte uns darauf freundlich-stumm in das Haus, vor dem er stand, wie immer Polizisten vor Sehenswürdigkeiten (wie in Ägypten). Es war aber sein Polizeiquartier, wo uns mehrere Polizisten in ihrem Büro niedersetzen hießen; ich erklärte den Irrtum und wollte gleich wieder weg, aber wir sollten warten; ängstlich, aber ehrlich bewunderte ich die schöne arabische Schrift, mit der einer von ihnen einen Text abfasste, worauf der Kommandant lachend sagte: „Oh yes, beautiful – and so is he, isn´t he?“ Richtig, sie waren alle gut aussehende Männer mit ihren großen dunklen Augen, Schnurrbärten, hellbraunem Teint in schwarzen Uniformen – ansehnlicher noch als die Ägypter, die staubige Stiefel trugen, dafür aber auch große alte Gewehre... Nach einer Weile wurde ein Rikschafahrer hereingeleitet, der uns für 15 Rupien – „one five, not five one!“ – zu dem gesuchten Haus brachte.
Wir besuchten außerdem in Lahore das Haus eines Malers, dessen gute Bilder im europäischen Stil aus den 30er bis 50er Jahren auch durch Porträts überraschten (in einem moslemischen Land; wie übrigens auch in Ägypten); ähnliche Bilder zeigten die (reichhaltigeren) Gemäldegalerien in Neudelhi und Kalkutta.
Im heiligen Tempel der Sikhs in Amritsar (Indien), wo Essen auf blitzsauberen Aluminiumtellern ausgeteilt wurde, sagte uns ein alter Mann, wir seien doch alle Kinder des einen liebenden Gottes. Diese Haltung, die der jüngeren politischen Geschichte der Sikhs widerspricht, fanden wir auch bei den alten Freunden von unserer ersten Reise; wir waren wirklich alle älter geworden, und das Söhnchen von damals hatte uns jetzt in Delhi angerufen: „And how is Auntie?“ hatte er mich gefragt, und meinte damit respektvoll meine Frau. Nun in Bathinda, einer touristisch uninteressanten Stadt inmitten einer sonnenverdorrten Ebene, genossen wir ihre Gastfreundschaft, aßen die vorzüglichen Speisen, welche die Hausherrin mit einer Hausgehilfin zubereitete, die uns vorgestellt wurde und dann auch mit am Tisch aß. Wir telefonierten mit dem Töchterchen von damals, die nun ein Kind erwartete und uns bat, für sie zu beten. (Sie hat glücklich entbunden.) Wir sahen auch bei ihren Verwandten die meist ziemlich abgenutzten Möbel europäischen Stils (aber der indische war eigentlich gar nicht viel anders) in bescheidenen, aber luftigen Wohnungen: hellgrüne Kücheneinrichtungen etwa im Stil der fortschrittlichen Gemeindebauten unserer dreißiger Jahre und dunkle, schwerere Möbel derselben Ära im Wohnzimmer. Auf unseren Dank sagten die Gastgeber immer, sie seien dankbar, dass Gott ihnen Gäste gesandt habe. Leider ist der Familienvater inzwischen gestorben, vor seiner Frau: sie hatte gehofft, als erste zu sterben, da ihr der Ehemann die würdigste Art des Begräbnisses geben könne, und ihm der Sohn.
In Shimla, der Sommerfrische (früher auch der britisch-indischen Regierung) in den Vorbergen des Himalaya, wollen wir das alte Amateurtheater an der Hauptstraße besichtigen, aber ein indisches Fräulein an der Kasse verwehrt uns den Zutritt; da besänftigt sie ein indischer Gentleman, Mitglied des Theatervereins, pensionierter Oberst der indischen Armee; er lässt uns eine Tasse Tee geben und lädt uns für 18 Uhr in den kleinen Salon des Theaters. Er ist auch Dichter, und noch am Nachmittag kaufe ich – neben schönen Bildbänden, die wir nach Europa schicken lassen, wo sie auch wirklich ankommen – die Erzählung von ihm, die das Buchgeschäft vorrätig hat. Wir erscheinen abends in unserer besten Toilette, der Oberst spendiert uns einen Gin und eingelegtes Gemüse und lädt uns dann zum Abendessen bei sich zuhause ein – falls seine Frau einverstanden ist, sagt er, und wir fahren in seinem Mittelklasse-Auto zu ihrem Damenklub. Sie stimmt zu, hat auch genug Essen im Haus, und wir fahren freudig hinauf zum Heim der beiden, in einem mehrstöckigen Wohnblock zwischen Bäumen, ähnlich den klassisch-modernen italienischen Gebäuden, mit Balkons; von der Wohnung hat man eine wunderbare Aussicht, jetzt auf die vielen anmutig im nächtlichen Blauschwarz verteilten Lichter der Stadt. Wieder gibt es hervorragendes Essen und herzliche Unterhaltung. Die Kinder der beiden sind an verschiedenen anderen Orten in Indien, wo auch die Eltern im Laufe der Karriere des Vaters wohnten.
Eine angenehme Überraschung war Kalkutta: die kommunistische Stadtregierung hatte nach Überwindung radikaler gewalttätiger Gruppen soziale Verbesserungen eingeführt, wodurch die Kriminalität verringert und sogar mehr Disziplin im Autoverkehr eingeführt wurde: im Stau schalteten die Fahrer die Motoren ab. Das kulturelle Leben ist nach wie vor lebhaft und offen auch für den Westen, dessen Spuren man auch in Städtchen nördlich Kolkatas aufsuchen kann: Serampore/Frederiksnagar zeigt in einem kleinen Museum eine der ersten Druckereien des Landes, Anfang des 19. Jahrhunderts von deutschen Mährischen Brüdern eingerichtet, die der dänische König (damals auch Herrscher über Schleswig-Holstein) förderte; und die bis zur indischen Unabhängigkeit französische Handelsenklave Chandernagore, auf deren Grenzsteinen noch „Liberté,…“ steht.
Noch immer sehr französisch, und zwar auch hinsichtlich sozialer Errungenschaften sehr positiv, wirkt das südlich von Chennai/Madras gelegene Pondicherry, an die Cȏte d´Azur erinnernd (ähnlich wie St. Denis auf der weiterhin französischen Insel Réunion). Südlich davon liegt die Kleinstadt Tranquebar, früher dänisch, mit den Ruinen einer Festungsanlage, gelblich in der Hitze, an einem weiten, leeren Strand – aber auch mit den Erinnerungstafeln deutscher evangelischer Missionare und einer noch aktiven katholischen Kirche, die der dänische König zugelassen hatte.
Paradiesische Landschaft mit drohendem Horizont - Sri Lanka
Das landschaftlich sehr schöne Sri Lanka, früher Ceylon, war 1981 auch in gesellschaftlicher Hinsicht erfreulich, da mit buddhistischer Mehrheit und also weniger starkem Kastenwesen. Wir machten eine herrliche Bahnfahrt und eine mehrtägige Taxifahrt durch die grünen Hügel des südlichen Landesinneren (Nuwara Eliya, Teepflanzungen, Wälder, Parks), erlebten eine nächtliche Lichter- und Elefantenprozession in Kandy. Wie ich schon Ondjaatjes phantasievoller Familiengeschichte entnommen hatte, sah ich 2018 im Internet, dass das Hochland recht feucht ist, oft neblig und regnerisch mit starken Gewittern.
Auf einerTaxifahrt nach Norden besuchten wir die Veddhas, ein kleinwüchsigen Urvolk im (trockenen) Dschungel, wo uns dann ein kleiner Bub auf einem Spaziergang zwischen den hohen, staubigen Büschen vorausging. – Wie wir später bei Kairo auf Kamelen ritten, so in Sri Lanka auf Elefanten, unsere Tochter mit meiner Frau, unser Sohn mit mir – und allen vieren war uns ängstlich zumute.
An der Küste südlich Colombos liegt Mount Lavinia, ein altmodischer Badeort mit schönem Strand. In den besseren Hotels des tropischen Asien verbinden sich dank der Bedienung durch zahlreiche Angestellte vornehme Großzügigkeit und Lässigkeit aufs angenehmste. Das Sparen am Personalstand wäre angesichts der bescheidenen Lebensverhältnisse der Einheimischen auch asozial. (Umso angenehmer überrascht waren wir daher von der großen Zahl von Angestellten auch in Japan, wo der Grund dafür wohl eher die berühmte wechselseitige Loyalität ist.) – Armut konnten wir stellenweise aber auch in Sri Lanka sehen, so bei (katholischen) Fischerfamilien in Negombo, deren Hütten sehr pittoresk am Rande eines Palmenhains an der Küste lagen; eine Familie unterhielt sich sehr freundlich mit uns. Erwärmt durch diese Kontakte und Geschenksendungen erwägend gingen unsere zwei Kinder mit uns Eltern durch den Palmenhain am Strand weiter: das war ein freundlicher „tropischer Wald“, auf dessen Boden wir wie auf festen, schwellenden Polstern gingen (daran dachte ich später, als ich in Naipauls „Mimic Men“ eine ähnliche Beschreibung seines heilsamen Ganges auf dem Boden einer Kakaopflanzung las), mit freiem Raum zwischen den Bäumen, in einer sanften Brise; ich fühle noch deutlich die Mischung der Freude über die vor uns rennenden Kinder mit der leichten Besorgnis, sie könnten sich wegen der herumliegenden alten Palmblätter doch etwas tun.
Im „Galle Face“, d e m schönen alten Luxushotel in Colombo, erholten wir uns von einer Fahrt nach Batticaloa im Nordosten der Insel, bei der wir die später explodierende Aggressivität der dort mehrheitlichen Hindus bemerkten; viel Zeit blieb ihnen allerdings nicht, uns mit ihrer groben Unhöflichkeit zu ärgern, da der Tageszug aus Colombo große Verspätung hatte, und wir mit dem Nachtzug zurück mussten: in diesem gab es keine 1. Klasse, und in unserem Schlafwagenabteil fuhren auch Kakerlaken mit; als ich sie mit einem Insektenspray lahm legen wollte, wurden zwar die unmittelbar Besprayten bewusstlos, kamen aber bald wieder zu sich, und vor allem stürzten zahllose andere aus den bestäubten Ritzen und Ecken hervor – sie waren von einer relativ kleinen Sorte und sind ja nicht wirklich gefährlich –, und als sich Frau und Kinder in die Kojen gelegt hatten, begannen die Kakerlakenscharen vom Boden den Aufstieg zu deren nahrhaften Schweißperlen und Salivaspuren (in den Mundwinkeln, wie in G. Greenes „Journey Without Maps“ zu lesen); ich ließ das Licht an, stellte mich daneben und fegte die Tierchen immer wieder die Bettpfosten hinunter, und das die ganze Nacht, bis auf zwei halbe Stündchen, in denen das Licht ausging: da setzte ich mich auf eine offene Plattform zwischen unserem und dem nächsten Wagon zum Schaffner, wir rauchten beide eine Zigarette und schauten vom langsam dahinrumpelnden Zug ins nächtliche Dunkel, aus dem manchmal ein warmer, duftender Windhauch kam und in Abständen der Schein eines Feuers der Streckenwärter, das an der Böschung flackerte.
Als wir in die grünen Hügel Ceylons fuhren, nahmen Frau und Tochter (9 Jahre) nach diesem Erlebnis ein Taxi (in dem sie Elefanten ausweichen mussten), unser Sohn (7 Jahre) und ich den Zug, da wir nur zwei Karten 1. Klasse erhalten hatten. In diesem Zug nun gefiel unser Enthusiasmus über diese Zugreise dem Schaffner so sehr, dass er uns in den leeren Gepäckwagon mitnahm, dessen Seitentüren zurückrollte und meinen Sohn in dem hohen Lehnstuhl in der Mitte des Wagenraumes anschnallte, so dass wir beide eine (vom Fensterstaub) ungetrübte Sicht auf die herrliche goldgrün besonnte Landschaft hatten. (Später sandte ich dem Eisenbahner auf seinen Wunsch Kassetten mir klassischer europäischer, also hoffentlich supranationaler, Musik.)
So sauber wie sein Ruf - Singapur
Auf dem Weg nach Indonesien 1987 haben mein Sohn (dreizehn Jahre alt) und ich ein paar Tage Aufenthalt in Bangkok und fast eine Woche in Malaysia.
Zunächst: als wir mit thailändischen Bekannten ausgezeichnet essen, lasse ich meine Kamera, die ich vorsorglichst umgehängt trage, auf der Toilette am Kleiderhaken hängen: ein Kellner bringt sie mir!
In Kuala Lumpur übernachten wir in den hohen Zimmern (mit großen Holzbetten und Ventilator am Plafond) des (inzwischen umgewidmeten) alten Railway Hotels im Bahnhofsgebäude. Die jugendliche Rezeptionistenschar ist so angetan von uns, dass sie uns in ihrer Freizeit sogar ins Museum für (moderne) Kunst begleitet.
Gerade solche Unternehmungen gegen Ende der Periode des Verreisens mit den Kindern, d.h. wenn diese in diese dreizehn bis fünfzehn werden, können eine schöne Gemeinschaft zwischen (in unserem Falle) Vater und Sohn stiften – so, als wir bei (dort ja früh einsetzenden) Dunkelheit von Malacca nach Kuala Lumpur in einem alten Bus zurückfuhren: die Vordertür fehlte, und wir ratterten begeistert dahin, mit Blick auf die vom Bus angeleuchteten Büsche und Bäume am Straßenrand, von denen manchmal süße tropische Düfte hereinwehten.
In Singapur möchte ich an einer langen Allee mit üppigen Laubbäumen und Blumenstauden die weißen Kolonialvillen aufnehmen: der Taxichauffeur versteht erst nicht, was ich will, dann schweigt er, offensichtlich mein nutzloses Vorhaben missbilligend.
Die hellen modernen Hochhäuser stehen an den Enden von Alleen immer in perspektivisch ansprechender Lage. In der straßenzugweise noch erhaltenen Altstadt (nüchterne helle Gebäude, eher schäbig, mit großen vergitterten Balkons, ähnlich Indien, auch ein klassizistisches anglikanisches Kirchlein) gibt es einen chinesischen Abendmarkt, wo wir nur mäßig gut essen, da wir uns an sehr ausgefallene Spezialitäten doch nicht wagen, so kurz vor dem Flug nach Indonesien. Mein Sohn überwältigt von dem großen, modernen, durchaus angenehm angelegten Flughafen Singapurs.
Strapaziöser Charme - Indonesien
Im Flugzeug nach Djakarta (mit den ersten der oft hinreißend schönen Indonesierinnen – zugegeben, diese waren Stewardessen) erlaubt man meinem Sohn, in die Pilotenkanzel zu gehen; er bleibt lange – die Piloten haben für ihn daheim in Wien angerufen!
Djakarta (Batavia) hat nur noch wenige der alten, niedrigen holländischen Bauten an Kanälen, dafür umso schlimmer abgasverseuchte Riesenstraßen mit chaotischem Verkehr. Wir machen uns auf die vergebliche Suche nach der Wohnung des Schriftstellers P.A. Toer (sein eigenartiges, über javanische Sitten recht aufschlussreiches „Bumi Manusia“ haben wir, Vater und Sohn, erst 2010 gelesen) – er steht unter Hausarrest, noch herrscht ja der Diktator Suharto von U.S.-Gnaden. (Nachdem er sich an die Macht geputscht hatte, wurde, wie vielleicht bekannt, ca. eine Million Kommunisten umgebracht.) Wir kommen dabei zur Akademie der Künste, deren Studenten uns aber keine bemerkenswerten Bilder zeigen können.
Für umgerechnet 2 Schilling fahren wir mit einem gar nicht so kaputten Zug nach Bogor/Buitenzorg, um die ehemalige Sommerresidenz der niederländischen Generalgouverneure und den Botanischen Garten zu sehen. Dort entdecken wir auch das Grabmal einer Engländerin, die klassizistische Stele von ihrem Gatten mit einer romantisch empfundenen Inschrift versehen. Solche Grabdenkmäler sind in den Tropen besonders rührend: die europäischen Friedhöfe etwa in Indien sind einen Besuch durchaus wert.
Von Djakarta gingen wir auf eine lange Zugreise nach Surabaya in einem relativ bequemen Express, wobei zu meiner Erleichterung mein sehr vernünftiger Sohn und Reisekamerad von sich aus auf eine ursprünglich vage geplante Unterbrechung zwecks nächtlicher Vulkanbesteigung (mit Sonnenaufgang) verzichtete, da er ziemlich erkältet war. Die Fahrt durch fast ganz Java war landschaftlich und durch die Gespräche mit indonesischen Passagieren bemerkenswert. In Surabaya ergatterte ich zwar Busfahrkarten nach Banjuwangi, der Fährstation nach Bali, aber am nächsten Tag mussten wir nach sieben Stunden vergeblichen Wartens auf den Bus (ein überfüllter fuhr inzwischen durch) ein Taxi nehmen, das knapp soviel kostete wie bei uns die Bahn. Es gab Studenten, die schon zwei Tage auf einen Bus zu ihrem Heimatort warteten und von denen keiner auch nur einen Bruchteil unserer Taxikosten zahlen konnte oder wollte – und welchen hätten wir gratis mitnehmen sollen?
Der letzte Teil dieser Fahrt führte durch ärmliche javanische Dörfer auf die gut funktionierende Fähre über die Meerenge und weiter nach Denpasar durch die malerischen Dörfer auf Bali mit ihren hinduistischen Straßentempelchen. Nach ein paar Stunden an einem entfernteren, dennoch nur mäßig schönen Strand ging es am nächsten Tag mit einem Kleinbus nach Ubud, wo wir in einer Tempelanlage im Grünen wohnten, die Pavillons für Touristen hatte. Nach einem Frühstück von Bananen und heißem Kakao saßen wir dann im Schatten des Vordaches unseres Pavillons und plauderten oder lasen, nur in Turnhosen, ich Kretek-Zigaretten rauchend, deren duftende Gewürznelkenstückchen unter ganz leichtem Knattern verbrennen, eben dem „Kretek“-Geräusch, was meinem Sohn sehr gefiel. Ihm gefiel auch die indonesische (malaiische) Sprache, besonders der Plural in Form des verdoppelten Singulars von Hauptwörtern, z. B „anak anak“ für „Kinder“. Er konnte die Sprache bald so gut, dass er die Indonesier damit erfreute und, praktisch wie er sein kann, uns auch manche unnötige Ausgabe ersparte. Wir fuhren mit Sammeltaxis zu Tempeln in der malerischen bergigen Umgebung, und mein Sohn führte in etwa folgende Unterhaltung in Bahasa Indonesia: „Wie viel kostet das?“ – „Fünftausend.“ – „Nein, nein, viel zu viel: fünfhundert!“ – „In Ordnung“, (lachend, ihm die Hand schüttelnd) „dreihundert“.
Der eindrucksvollste (Taxi-)Ausflug ging auf den schwarzen Vulkan Batur, der eindrucksvollste Spaziergang führte uns durch schön angelegte und mühsam gepflegte Reisterrassen. Außerdem stießen wir einmal auf eine der berühmten Begräbnisprozessionen und wohnten in einem Dorf „echten“ abendlichen Tanzvorführungen der hübschen, schön und dezent-erotisch gekleideten Mädchen in einem Gemeindesaal bei.
Nachts aber schlief ich wenig, um die Anti-Moskito-Spirale zu überwachen und immer wieder anzuzünden. Es war ein Erlebnis, neben mir und dem glimmenden, duftenden Draht im Dunkeln den Sohn atmen zu hören, draußen die tropische Nacht.
Flug zurück nach Java, nach Yogyakarta, dort mit einer Rikscha … am Reisebüro vorbei, wo wir unseren Flug nach Bandung reservieren mussten, aber mein Sohn sah es noch rechtzeitig. Im Büro äußerte er sich entzückt über das Modell eines alten Propellerflugzeugs; die Angestellten schrieben lächelnd – und überreichten uns die Flugkarten für ein Propellerflugzeug!
In den Tempeln soll man für den geliehenen Gebetsschal immer eine Kleinigkeit spenden, und trägt die Summe, oft 1000 Rupien, in ein Buch ein. Als wir einmal nicht viel mithatten, trug mein Sohn stattdessen 0001 ein: die Wärter sahen das, lachten und klopften ihm auf die Schulter. Im Restaurant stehen die Kellnerinnen oft kurz bei unserem Tisch, bewundern meinen Sohn und fragen mich respektvoll, wenn auch etwas rätselhaft: „This only son your son, sir?“
Im überwiegend islamischen Java trugen die Frauen damals noch kaum Kopftücher, wir haben nur an der schön gelegenen Universität von Bogor welche gesehen. Inzwischen hat sich das geändert.
Der Zauber des Fremden – Japan
Auf unserer ersten Japanreise (1979, alle vier, Tochter 7, Sohn 5 Jahre) besuchten wir in Tokio die Familie eines japanischen Freundes, der in Wien lebte (auch seine – katholische – Mutter; wenn wir seine Schwester, die immerhin Stewardess gewesen war, etwas fragten, antwortete immer ihr Mann, ein gleichaltriger Ingenieur), außerdem eine Arztfamilie, die uns auf Ausflüge mitnahm (in den Fuji-Hakone-Nationalpark; wir kamen uns vor wie im Märchen in den weiten Kiefernhainen unter den Bergen, am See mit ihren und unseren Kindern); den Arzt hatte ich auf einer Bahnfahrt in Westdeutschland kennen gelernt: er fuhr zu einem Kongress, sprach Deutsch und fragte mich in dem Raucherabteil, in dem wir saßen, ob er rauchen dürfe, rauchte aber trotz meiner bejahenden Antwort nicht, bis ich mit ihm auf den Gang hinaustrat und mir selber eine anzündete. Als ich ihm später von unserem geplanten Besuch in Japan schrieb, antwortete er mir mit einem begeisterten Hinweis auf jene Begegnung, für ihn offenbar ein Erlebnis der Erleichterung. – In seiner Wohnung war ein westliches Zimmer, das schwere, braune, z.T. lederbezogene Möbel hatte, im krassen Gegensatz zum sehr eleganten und dezenten traditionellen japanischen Stil anderer Zimmer, und im Typ der fallweise westlichen Einrichtung afrikanischer Wohnungen ähnlich, wenn auch vollständiger und gut erhalten.
Mit Bahn und Bus bequemst nach Nikko und in seine wilden, von kühlen Bächen durchrauschten Waldberge: dort nahmen wir am Waraku-Tanz teil, einem großen nächtlichen Volksfest unter lampionbeleuchteten Bäumen; ein Mädchen, das mit mir tanzte, sagte auf meine Auskunft, ich käme von „Osturiya“: „Ah, Marie-Antoinette“ (wohl ein Film, der gerade lief).
Die Zugfahrten in Japan sind fabelhaft: auf einem kleinen Bahnhof zog der Stationsvorsteher zur Abfahrtszeit seine Taschenuhr hervor, blickte nur auf diese und salutierte genau als der Zug pünktlich abfuhr; der Schaffner verneigte sich beim Betreten des Wagons, nahm die Mütze ab und sagte ein Entschuldigungssprüchlein auf, da er die Fahrgäste nun belästigen müsse; Fertiggerichte in Schachteln wurden von Hostessen auf erhobenen Armen durch die Wagons getragen und mit dem Ruf „O-Bento!“ angeboten, mit der Respektsilbe „O“, da ja das Bento für den verehrten Kunden bestimmt war.
Während einer Schiffsfahrt über die „Binnensee“, auf der wir über Nacht die Kabine mit einem japanischen Paar teilten, sprachen die beiden fast kein Wort mit uns, und auch kaum zueinander, aber als wir im Halbdunkel auf den Tatami, den dicken Strohmatten, lagen, setzte sich die Frau auf den Mann und massierte ihn.
In Tokushima besuchten wir die Familie der Brieffreundin von Schülerinnen meiner Frau und sahen das Tanzfest Awa-odori. Beim Picknick, das die Familie uns gab, wurde erst mir serviert, dann meinem Sohn, dann meiner Tochter, dann erst meiner Frau. (Mit der Brieffreundin blieben wir immer in Kontakt; als sie einmal ein Foto von sich mit Freundinnen schickte, entschuldigte sie sich, dass die Jahreszeit auf dem Bild eine andere sei als die der Übersendung...Bei ihrem und ihrer Freundin Besuch in Wien genoss sie abends auf dem Rückweg vom Heurigen eine ähnlich romantische Stimmung im weichen Dunkel der ländlichen Gassen, nur von Laternen beleuchtet, wie wir bei unserem zweiten Besuch beim nächtlichen Heimweg von einem feinen Restaurant zwischen den Lampions in den niedrigen Holzhäusern Kyotos; aber das deftige Essen beim Heurigen war den Japanerinnen zu viel.)
In Ibusuki ganz im Süden gab es ein Freiluftbad, dessen Bassins, durch einen Wasserlauf zwischen Bäumen verbunden, verschiedene Wärmegrade hatten und mit Blütenblättern bestreut waren; Männer und Frauen badeten nackt und getrennt, aber an einigen kleinen Brücken konnte man einander über kinnhohe Bambuszäune sehen und sprechen. Mit dem Söhnchen herum zu plantschen und dazwischen Frau und Tochter zu grüßen, wobei das um uns herum auch die anderen taten und uns zulächelten, war ein fröhliches Erlebnis ganz eigener Art.
Auf dem Rückweg fuhren wir über Miyazaki, wo unsere Kinder ganz lieb mit den kleineren Kindern einer Japanerin am Strand spielten, sowie nach Hiroshima und Nagasaki; hübsch gelegen besonders das letztere; über einen Hügel kommt man zu einer katholischen Kirche oberhalb des Hafens – die beiden Städte waren ja die mit den meisten Christen, den ältesten christlichen Missionsstationen (in Japan: Franz Xaver) und Niederlassungen der Portugiesen, die dann von den Holländern angeschwärzt wurden, worauf die Katholiken verfolgt und die Holländer nur zum Handel in diesen beiden Städten zugelassen wurden − womit sie als echte Kalvinisten auch hochzufrieden waren; und warum, könnte man fragen, haben die ebenfalls kalvinistisch gesinnten Amerikaner gerade auf diese beiden prowestlichsten Städte ihre Atombomben geworfen?
In den Ausstellungen zum Atombombardement in Hiroshima sind die Leiden der Opfer eindrucksvoll dokumentiert, aber ohne jeden moralischen Kommentar: weder die eigene noch die amerikanische Politik wird diskutiert; es scheint die Meinung vorzuherrschen, ein beiderseitig natürlich grausamer Krieg habe logischerweise für den Verlierer schlimm geendet; vielleicht aber sollte nur niemand „das Gesicht verlieren“ (außer den Opfern des Brandes).
Während dieser Reise übernachteten wir meist in „Ryokans“ (von denen damals manchmal noch fremde Gäste abgelehnt wurden, da es den Japanern zu peinlich war, wenn sich Fremde nicht mit ihren Sitten auskannten); fast immer hatte das Zimmer einen kleinen Vorgarten, auf den hinaus zu sehen und morgens früh allein in ihm zu sitzen ein Vergnügen war (ein Zigaretterl zu rauchen, nämlich eine duftende „Peace“, während auf der anderen Seite der halbgeöffneten Papier-Schiebetür Frau und Kinder noch auf den japanischen Betten am Boden schlummerten).
Bei der Ankunft in diesen Gasthäusern war die hölzerne, in den Fußboden eingelassene Badewanne auch immer schon mit sehr heißem Wasser gefüllt; die Stubenmädchen warteten schon im Zimmer, dass man sich ausziehe, um einem den Haus-Yukata (eine Art Sommer-Kimono) umzulegen, und erwarteten, dass man nach der Reise gleich bade, bevor man aß – ich aber konnte erst am nächsten Morgen ins nicht mehr ganz so heiße Wasser steigen. In das Bad im Zimmer und erst recht in das Hallenbad unten ging man erst, wenn man sich nackt über einem Waschbecken gereinigt hatte; Abtrocknen war unüblich, man schlug die nasse Haut leicht mit einem feuchten Handtuch und schlüpfte so in den Yukata, um aufs Zimmer zu gehen. – Morgens kamen die Stubenmädchen unter lautem Guten-Morgen-Rufen rasch und ganz ungeniert auf den Knien ins Schlafzimmer gerutscht (nachdem sie die Papierwandtüren beiseite gerollt und sich tief verbeugt hatten), um das Bettzeug wieder zusammenzufalten und im Wandschrank zu verstauen. Ihre Bewegungen waren dabei durchwegs zierlich, die Verbeugungen der Japaner überhaupt formvollendet, die Frauen dabei oft sehr anmutig. (Ein bezauberndes Beispiel im Film ist die Schauspielerin Setsuko Hara.)
Das Essen war so teuer wie gut, dabei fast kein Zucker und Mehl, so dass man – besonders in der schwülen Hitze des Sommers, die den Appetit verringert– schlank wird oder bleibt. Als ich einmal in einem Geschäft nach Süßigkeiten für die Kinder fragte, bekam ich erst keine Antwort, dann ein verlegenes Lufteinziehen durch die Zähne: man soll nicht „Nein“ sagen in Japan, hatte ich gelesen; als ich fragte, ob es k e i n e Süßigkeiten gebe, kam die freudige Antwort „Ja!“ d.h.: Sie haben recht, es gibt keine.
Die Tempelhaine, besonders in Kyoto und Nara, sind ja bekannt für ihre elegante Schönheit, und innerhalb der äußerst reinlichen (hölzernen) Tempel geht man, nur in den Socken, federnd auf dicken Strohmatten, umgeben von dunklen Holzwänden wie in einem großen, alten, gut gepflegten Schiff über dem Gras des Haines, locker umstanden von den bizarren schwarzgrünen Figuren der Kieferbäume, aus denen durch die heiße Sommerluft das Zikadensirren herüberweht.
Männer und Frauen in der Stadt sind elegant gekleidet (europäisch, in leichten dunkelblauen Anzügen bzw. Kostümen oder hellen Sommerkleidern, die Damen unerwartet attraktiv), auch (anders als in Westeuropa) bei unserem zweiten Besuch 26 Jahre später, 2005; da sprachen dann aber mehr Japaner leidlich Englisch und waren viel kommunikativer; beim ersten Besuch erklärte man uns, es sei ihnen peinlich, Englisch zu sprechen oder auch meine Versuche zu hören, Japanisch zu sprechen, denn im ersten Fall verlören sie das Gesicht, im zweiten ich. So mussten wir damals in den Bahnhöfen immer eine Viertelstunde für die Suche nach dem Bahnsteig einplanen, denn nur einer von fünf Befragten antwortete, wenn es innerhalb des Bahnhofs nur noch japanische Aufschriften gab – die wir leider nicht lesen konnten; die anderen schüttelten den Kopf, oder sagten:“No!“…oder schlossen die Augen! Aber solch Kurioses wird man kaum mehr erleben, sondern eifrige Hilfsbereitschaft.
(Nur 2005 erlebte ich das „No!“ noch einmal, als ich im dürren, aber dichten Gebüsch einer Insel des australischen Barrier Riffs den Weg zurück zum Glasboden-Ausflugsboot nicht gleich fand und unpassenderweise eine Gruppe japanischer Touristen danach fragte.)
Das sehr unkommunikative Verhalten (das auch in japanischen Kurzgeschichten zwischen 1930 und 1960 dargestellt wird) war bis zum Ende des 2. Weltkrieges noch schlimmer, sagte mir eine japanische Dame, die 2009 mit ihrer Tochter im selben Zug wie ich in Europa reiste.
Der japanische Nationalstolz beruht auf der Idee der Verbindung des ganzen Volkskörpers mit der Sonnengöttin durch den Kaiser, und die wichtigste Zeremonie ist das jährliche Durchschreiten eines hölzernen Tores in Ise durch den Kaiser, der dabei einen weißen Vorhang mit einer blau gezeichneten Chrysantheme durchteilt – eine einfache, würdevolle und noch mehr poetische Handlung, deren zarter Charakter es schwer macht, den damit verbundenen Stolz der Japaner auf ihre gleichsam metaphysische Rasse zu verurteilen.
Hier aber auch ein späteres Erlebnis nach einem Vortrag im japanischen Kulturinstitut in Wien: als ich das dabei verkündete Ende der japanischen Solidarität als Grundlage seiner wirtschaftlichen Stärke im Gespräch mit einem Japaner bedauerte (der gut Deutsch sprach; wie ich später hörte, war er der Kulturattaché), sagte dieser ganz unvermittelt: „Sicher ist ein mächtiger Berg schön, so der Fuji-san – aber doch auch die Wiese voll schwankender Blumen vor ihm, nicht?“
Weniger fremd als vermutet - China
In der Volksrepublik China war 1991 alles sehr billig, gut organisiert und ehrlich (damals; anders als in Hongkong, wo ein Kellner mit einer 5-Dollar-Münze entschwand, die ich ihm für die Bezahlung einer Rechnung von 3,60 gegeben hatte). Man bekam, ob im Bus oder beim Melonenkauf, immer das Restgeld genau zurück − außer im touristisch überlaufenen Kweilin. Das Essen war gewöhnlich nicht so gut wie in chinesischen Restaurants in Europa, die Menschen fast immer höflich, hilfsbereit, kontaktfreudig (anders als beim ersten Besuch in Japan), allgemein lebhaft, auch ungehemmt z. B in Restaurants protestierend, wenn ihnen das Essen nicht zusagte; stets gab es Mengen von Leuten auf der Straße, von denen immer einige in Sichtweite relativ gut Englisch konnten. – Chinesische Touristen, mit denen ich in den USA ins Gespräch kam, sagten mir zwar, die Freundlichkeit sei in China nur geheuchelt; ein Missionar aber war nach 49 Jahren in China von der ehrlichen Herzlichkeit der Leute immer noch begeistert.
Wir (meine Frau und ich) stellten selber nie Fragen zur Politik, kritische Äußerungen zur chinesischen Politik ließ man uns aber entgegen unserer Erwartung häufig hören: besorgniserregend eine Begegnung mit einem aufgeregten jungen Mann, der uns Hinweise über Menschenrechtsverletzungen zur Weitergabe an „ein französisches Journalistenteam“ geben wollte, die abgereist seien, bevor sie noch alles von ihm gehört hätten; da wir uns vor „agents provocateurs“ fürchteten, und andernfalls, um ihn sich nicht weiter kompromittieren zu lassen, lehnten wir ab. – Am erstaunlichsten war eine Unterhaltung mit Marinekadetten in Tsingtau über die das Massaker von Tien-an-men 1989: in ihrer Kritik an Mißständen hätten die Studenten schon recht gehabt (wir brauchten nur am Strand weiter zu gehen, um an einen Zaun zu kommen, hinter dem exklusiv die „jeunesse dorée“ der Parteibonzen bade), aber niemand wusste, welche politischen Maßnahmen sie planten, und das Misstrauen gegen Studenten sei seit ihrem extremistischen und oft grausamen Mitwirken bei der Kulturrevolution im Volk noch groß; deshalb habe es auch keine massenhafte Unterstützung gegeben. (Der erwähnte Missionar sagte sogar, die Bauern hätten der Zentralregierung mit dem Marsch der Provinzstreitkräfte auf Peking gedroht, wenn sie die gefürchteten Studenten nicht baldigst bändigten.) Und dann hätten die Studenten versucht, die Regierung das Gesicht verlieren zu lassen und so zu stürzen, indem sie einen Unterhändler nach dem anderen, zuletzt auch sehr gemäßigte, ablehnten; so habe die Regierung schließlich Gewalt eingesetzt: der Fehler der Studenten lag also nach Ansicht dieser künftigen Militärs in einer zu optimistischen Einschätzung der Machtverhältnisse...
Eine junge Frau erzählte uns von ihrem und ihrer Eltern Schicksal während der Kulturrevolution: beide Ärzte, der Mann wurde in die Mandschurei verschickt, die Ehe zerbrach.
Es gab aber auch Unterhaltungen über andere Themen, auch mit positiven Informationen zum Leben in China, Ernährung, Schulen und Gesundheitswesen betreffend; ganz allgemein wollten die Leute gern etwas über das Ausland hören, ihr Englisch üben und uns etwas von China mitteilen. Die Kontakte wurden nie, wie so oft in den arabischen Ländern, mit dem Ziel aufgenommen, uns etwas zu verkaufen.
Niemand hinderte uns, die an sich für Ausländer verbotene Fahrt auf dem Kaiserkanal in normalen Schiffen mit vielen chinesischen Passagieren zu machen. Auch die Frauen waren kommunikativ, wir sahen kein „Macho“-Gehabe der Männer, die (bei dem schwülen Sommerwetter) in schwarzen Turnhosen und weißen Leibchen gingen, oft mit einem Handtuch um den Kopf oder Hals, mit den gleichen schwarzen Socken und Einheits-Sandalen mit mittelhohen Absätzen wie die Frauen, die, hübscher gekleidet, ihre weiten hellen Sommerkleider beim Radfahren oft ungeniert hochfliegen ließen (damals gab es viele Fahrräder, wenige Autos); in einem Zug fächerte sich ein uns gegenüber sitzender Offizier Luft zu und borgte mir dann den Fächer.
Als wir in Tai-an nach Frühstückswünschen gefragt wurden – sonst glich das Frühstück den übrigen Mahlzeiten (wie in Japan), höchstens gab es süße Knödel statt salziger – nannten wir Brot und Marmelade; als ich am folgenden Morgen hinunter kam (meiner Frau war nach der Bergwanderung auf den Tai-shan vorübergehend nicht gut), griff die Rezeptionistin zum Telefon und ich hörte das Wort „Autilin“ (Österreich): es erschienen zwei Kellner mit Brot und einem süßen Mus auf einem Teller und sahen mir aufmerksam beim Essen zu, bis ich es lobte – sie hatten die Marmelade selbst gemacht! (Trinkgelder waren damals übrigens verpönt, wie in Japan, nicht aber in Hongkong!)
Entspannend die Teehäuser und die offenen Pavillons am Wasser, in denen abends alte Männer saßen und sangen oder Brettspiele spielten; eine Wohltat das heiße Trinkwasser (in Thermosflaschen), das einmal sogar Tempelwächterinnen für meine Frau brachten, als diese sich erschöpft auf eine Bank vor einem Tempel gelegt hatte. – Freudige, um nicht zu sagen, heitere, Reaktionen ernteten wir, wenn wir versuchten, Chinesisch zu sprechen, allerdings fast nie mit Erfolg, da wir die Intonation selten richtig trafen; manchmal, wie uns ein zu Hilfe herbeigeeilter Student erklärte, nahmen die Leute auch an, wir sprächen auf jeden Fall eine für sie unverständliche Fremdsprache, und sie versuchten daher gar nicht zu erraten, was wir meinten; andere wiederum versuchten das und „schrieben“ das vermutete Wort schnell mit dem Finger auf ihre Handfläche, wohl in der Annahme, wir könnten die Zeichen aus ihren Fingerbewegungen lesen; das machten sie ja auch so, um sich mit Chinesen anderer Gegenden und Dialekte zu verständigen; konnten doch selbst zwei japanische Studentinnen, mit denen wir die lange Fahrt im Schlafwagen von Shanghai nach Kweilin machten, die Speisekarte des Zugrestaurants lesen, ohne Chinesisch gelernt zu haben. (Allerdings bereiteten ihnen die durch die Schriftreform der Volksrepublik vereinfachten Zeichen Schwierigkeiten, ebenso wie den Taiwanesen: in Taiwan werden weiter alle komplizierten Zeichen verwendet, wie in Japan für würdevolle Wörter bzw. im respektvollen Stil.) – In unserem Zugabteil erschollen zunächst chinesische Lieder und Reden aus einem kleinen Lautsprecher, den die Schaffnerin nicht leiser stellen konnte oder wollte, worauf ich ihn zum Schrecken und dann zur Heiterkeit der Damen durch ein paar ungezielte Handgriffe zum Schweigen brachte – und das fiel dann auch nicht auf.
In Wien hatte ich bei meinen Erkundungen in der chinesischen Botschaft einen Beamten kennen gelernt, der mich an seinen Verwandten, den Leiter des Tourismus-Büros in Suzhou empfahl; dieser meldete sich zwar zunächst nicht, aber dann wurden wir plötzlich zu einem delikaten Abendessen mit ihm und dem Provinzgouverneur eingeladen; dieser stellte uns auf Englisch kundige Fragen über Österreich und ließ uns am nächsten Vormittag in einer schwarzen Dienstlimousine zum Bahnhof bringen.
Die Innengärten mancher Häuser in Hanzhou und die Pavillons an den Seen bei Suzhou sind bezaubernd, besonders stimmungsvoll sind Abendspaziergänge auf den Dämmen über das Wasser, beim berühmten Mondlicht, das auch philosophische Gedichte feiern.
Wir wohnten einer Messe der katholischen „Nationalkirche“ bei, gingen auch in Peking in die „Nordkathedrale“; in Gesprächen sagte man uns dann, man hoffe auf die Anerkennung durch den Vatikan und damit auf ein stärkeres Wiedererblühen des christlichen Lebens: 2009 wurde denn auch die Exkommunikation der „patriotischen Katholiken“ durch Papst Benedikt XVI. aufgehoben. Sehr Interessantes war 2010 im Altkalksburger (Jesuitenschüler-) Klub von einem Missionar, Theologieprofessor in Taiwan darüber zu hören – auch, dass die Franziskaner in China die Akzeptanz der Ahnenverehrung durch die Jesuiten deswegen angriffen, weil auf dem Land die Ahnen doch vergöttert würden; aber ist das so unkatholisch, wenn man an unsere Heiligen denkt? Könnten wir nicht sogar unsere Vorfahren, für deren Seelenheil wir beten, in der Hoffnung, dass sie nun „im Himmel“ seien, einander und uns verzeihend und wohlwollend an unserem Leben und unseren gemeinsamen Erinnerungen teilnehmend, um Fürsprache bitten?
Taiwan (Formosa)
Taipei (Taipeh) ist im Jahre 2005 eine schmutziggraue Großstadt voller sehr lästiger (auch alles vollparkender) Motorroller, trotz einiger sehr „cool“-glatter Gebäude und sexy-modern gekleideter Frauen eher schäbig – auch die Männer nicht elegant wie in Japan; viel weniger amerikanisch und viel mehr wie Festlandchina (der übliche Ausdruck für die Volksrepublik) als erwartet: wie aus Unterhaltungen (besonders mit einem ausgezeichnet Deutsch sprechenden jungen Germanisten-Ehepaar) zu entnehmen, sind die Städte auf dem Festland jetzt oft sogar moderner, wirtschaftlich stärker, eine Vereinigung der beiden Staaten brächte in Taiwan (der „Republik China“) wohl keine allzu großen Veränderungen im Alltagsleben; besonders bei den Bauern (nach Landreformen) sei der Lebensstandard allerdings immer noch höher als auf dem Festland, auch wenn die Häuser, Imbißstände usw. ähnlich, eben doch sehr „chinesisch“, aussähen. Sehr viel mehr traditionelles China findet man in den Museen (in die bei der Flucht des Kuomintang viel vom Festland verbracht wurde) und den kleinen, aber prächtigen Tempeln; in der Stadt beeindruckend lebhafte Theateraufführungen im Freien, unter dem lauen Nachthimmel zwischen dem glitzernden Dekor der beleuchteten Tempel; dann in einer anscheinend fröhlichen Menschenmenge unter Lampions...ist Taiwan inzwischen vielleicht das „weichere“ China? Martialisch wirkte jedenfalls nur die Wachablösung beim Heldentempel, wobei die überlangen Soldaten Sporen klirren ließen und sogar die Finger im Takt bewegten; an die dann unbeweglich stehenden Wachposten (die angeblich nicht einmal die Augenlider bewegen dürfen, das anzusehen habe ich nicht gewagt) kam allerdings ein Mann in Zivil (Hemd und Hose) heran und schlug mit seinen Schuhen gegen die ihrigen, wohl um die Position ihrer Füße zu korrigieren – das kam mir sehr unmilitärisch, ja würdelos (für beide) vor.
Das Historische Museum zeigt Erinnerungen an die japanische Herrschaft und autochthone Taiwanesen. Auch besichtigen wir das alte Wohnhaus einer reichen Familie, ein Museum aus kleinen Höfen mit rotbraun gefärbten Mauern; in Südchina waren es große Höfe aus weißen Mauern (mit schwarzen Leisten und Rahmen) und subtropischen Pflanzen, reicher, eleganter; beide Haustypen sind mit schweren, dunklen Möbeln eingerichtet, üppige Schnitzereien zieren die Türrahmen und Bettgestelle.
Ähnlich wie auf dem Festland über zehn Jahre früher, aber häufiger, zierlichere, poetischer wirkende Tempel auf bewaldeten Hügeln im Landesinnern, wie auf den bekannten Zeichnungen zwischen Nebelschleiern schwebend. Mit der Bahn bis Suao an der Ostküste (die häufig verkehrenden Züge sind schnell und klein) und an dieser weiter in tollen Kurven mit einem Taxi, durch die wilde Taroko-Schlucht in die Berge bis Tienhsiang (in Taiwan gilt noch die ältere lateinische Umschrift des Chinesischen) und hinauf zur Tien-Feng-Pagode, dann zu einer guten heißen Mahlzeit in einem sehr volkstümlichen Straßenlokal nahe unserem Hotel. Weiter mit Autobussen auf abenteuerlichen Gebirgsstraßen: enge Kurven, teilweise die Fahrbahn noch durch einen Erdrutsch verengt, atemberaubende Aussichten, oft zwischen Wolken, Nieselregen, bis Lishan; dort trotz der Berge ein stimmungsvoller Sonnenuntergang, dann eine kühle Nacht in einem vorher herausgefundenen christlichen Hospiz, einfach, über dem Ort gelegen, mit einer kleinen modernen Kirche auf einer Terrasse; am Morgen gab es ein herzhaftes Frühstück, serviert auf einer wackeligen Veranda über dem tauglitzernden Tal. – Die Fahrt zum Sonne- und Mondsee war wegen Vermurung der Straße unmöglich, also im Bus das Gebirge durch zunehmende Obst- und Gemüsepflanzungen hinunter nach Chiayi, von wo es eine kleine Touristen-Bergbahn durch große, sonnendurchflimmerte Bambushaine auf den Ali-shan (und zurück) gibt.
Rückkehr nach Taipei auf einer langen Bahnfahrt in vollen Zügen über Changhua. Es gab kaum andere Touristen unter den vielen freundlichen Passagieren.
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